„Fachkräfte müssen mehr Zeit bekommen, um Fragen zu beantworten“
Interview mit Dr. Julia Serong, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Universität München und Koordinatorin der Arbeitsgruppe „Faktizität der Welt“ an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
„Neustart!“: Frau Dr. Serong, Sie forschen zur Wissenschaftskommunikation. Gelingt den Medien in Deutschland die Vermittlung der wichtigsten Erkenntnisse über Covid-19 oder scheitern sie daran?
Serong: Ich würde sagen, dass die Qualität der Wissensvermittlung in Bezug auf die Coronavirus-Pandemie hierzulande auf hohem Niveau läuft. Das Interesse der Bevölkerung ist enorm. Schon vor der Pandemie hat die Berichterstattung über Wissenschaftsthemen einen Boom erlebt. Zugleich sind aber viele Wissenschaftsjournalisten wirtschaftlich unter Druck geraten, denn viele sind Freelancer und bei denen wird in der wirtschaftlichen Krise, in der sich vor allem die Printmedien befinden, als erstes gespart.
„Neustart!“: Kann seriöser Wissenschaftsjournalismus noch Menschen erreichen, die die klassischen Medien meiden und sich ausschließlich im Internet informieren?
Serong: Es gibt durchaus gute und unterhaltsame Blogs oder Youtube-Channel, mit denen man sich im Internet gut über wissenschaftliche Themen informieren kann. Und Sie können sich direkt prominente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anhören, wie zum Beispiel Christian Drosten. Aber natürlich treffen Sie im Internet auch auf gefährliche Fehlinformationen. Menschen, die sich aus verschiedenen Quellen informieren, können das noch einordnen. Sorgen machen mir aber jüngere Menschen, die vor allem TikTok, Instagram und YouTube konsumieren. Auf diesen Plattformen lassen sich zwar auch Wissenschafts- und Gesundheitsthemen finden, sie werden aber meist nur oberflächlich behandelt. Man kann sich zum Beispiel den Start der Rakete von Elon Musk anschauen, die wirtschaftlichen und politischen Hintergründe werden aber nicht erklärt.
„Neustart!“: Im Rahmen unserer Reformwerkstatt wurde immer wieder die Forderung laut, die Bürgerinnen und Bürger müssten besser über Gesundheitsthemen informiert werden. Gibt es hier aus Ihrer Sicht Defizite?
Serong: Das lässt sich nicht pauschal sagen. Es gibt Krankheiten, die viele Menschen betreffen – zum Beispiel Krebs – über die die Medien häufiger berichten und zu denen Sie auch im Internet viele Informationsangebote finden können. Zu anderen Themen – zum Beispiel Pränataldiagnostik, die ja für Menschen nur in einer relativ kurzen Zeitspanne ihres Lebens relevant ist – sieht das schon anders aus. Da findet man im Internet vielleicht auch ein paar Angebote, aber das sind häufig Angebote, hinter denen kommerzielle Interessen stehen. Und viele Gesundheitsthemen werden von journalistischer Seite nicht kritisch und kontinuierlich bearbeitet. Die Artikel, die man online findet, sind dann häufig nicht mehr auf dem aktuellen Stand.
„Neustart!“: Das Bundesgesundheitsministerium hat unter www.gesund.bund.de ein nationales Gesundheitsportal gestartet. Ist das eine gute Sache?
Serong: Es ist ja noch im Aufbau, aber mein erster Eindruck ist positiv. Ein hohes Informationsniveau entsteht allerdings durch ein Netzwerk verschiedener Akteure. Gute Aufklärung fängt bei der Ärztin oder beim Arzt an. Oft fallen den Patienten aber wichtige Fragen erst nach dem Praxisbesuch ein. Dann suchen viele Menschen Antworten in den Medien oder im Internet. Da ist ein wissenschaftlich fundiertes Angebot wie das Portal des Gesundheitsministeriums ein zentraler Baustein. Aber auch da werden nicht alle Fragen beantwortet werden können. Kritische Fragen, die Journalistinnen und Journalisten stellen, sind eine wichtige Ergänzung. Viele Mediennutzerinnen und -nutzer stoßen jedoch stattdessen auf Foren, auf denen sich Betroffene austauschen. Der direkte und individuelle Kontakt zwischen Ärztinnen und Ärzten und Patientinnen und Patienten bleibt auch im digitalen Zeitalter unverzichtbar. Wir sollten daher in Zukunft mehr Möglichkeiten anbieten, dass Patientinnen und Patienten ihre Fragen an Fachkräfte richten können. Und die wiederum müssen die Zeit bekommen, in Ruhe zu antworten. Die Videosprechstunde, mit der man in der Pandemie gute Erfahrungen gemacht hat, zum Beispiel im Bereich Psychotherapie, könnte dafür ein gutes Mittel sein.
„Neustart!“: Wer will, findet viele Informationen über gesunde Ernährung. Dennoch ernähren sich viele Menschen falsch – Beispiel Zucker. Sollte der Staat hier stärker eingreifen – zum Beispiel durch Verbote, Warnhinweise oder Besteuerung?
Serong: Das ist eine politische Frage, die Ihnen die Wissenschaft nicht beantworten kann. Ich persönlich habe in dieser Frage eher eine liberale Haltung und bin der Meinung, dass die Menschen die Freiheit haben sollten, über ihren Lebensstil selbst zu entscheiden. Mit Blick auf das Gemeinwohl ist es aber sicher ratsam, dass der Staat erwiesenermaßen gesundheitsschädliches Verhalten zumindest nicht noch fördert.